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Zum Thema Verkehrsrecht
- Anscheinsbeweis: Wer bei Verlassen der Parkbucht in einen Unfall verwickelt ist, haftet meist vollständig
- BGH prüft Beweiserleichterung: OLG Celle bejaht Anscheinsbeweis bei berührungsloser Unfallverursachung
- Haftungsfrage bei Mehrfachversicherung: Auch das Rückwärtsfahren mit einem Anhänger gilt rechtlich als Zugvorgang
- Unklare Unfallsituation: Kann selbst ein Sachverständiger keine Klärung herbeiführen, kommt es zur Schadensteilung
- Wurzelschaden stoppt Rennradler: Kein Schadensersatz, wenn Hindernis für Normalfahrer deutlich erkennbar ist
Das Prinzip "Trau, schau, wem!" sollte jeder motorisierte Verkehrsteilnehmer beim Ein- und Ausparken befolgen. Denn wenn im Anschluss der genaue Unfallhergang ungeklärt bleibt, bleibt einem Gericht wiederum nichts anderes übrig, als bei seiner Entscheidung dem sogenannten Anscheinsbeweis den Zuschlag zu erteilen. Genau so erging es dem Amtsgericht Hanau (AG) im folgenden Fall.
Ein Mann wollte aus einer Parkbucht heraus in den fließenden Straßenverkehr einfahren. Dort befand sich allerdings bereits eine Frau mit ihrem Wagen, die bereits in selbiger Fahrtrichtung unterwegs war. So kam es auch hier, wie es kommen musste - und zwar zur Kollision. Was ebenfalls nicht ungewöhnlich war: Vor Gericht waren sich beide Unfallbeteiligten über den Hergang des Ganzen uneins und machten dazu unterschiedliche Angaben.
Das AG hat der Klage der Frau auf Schadensersatz dennoch stattgegeben. Auf die Klägerin selbst entfällt kein Mithaftungsanteil, da das Gericht davon ausgegangen ist, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet. Das Gericht war nach einer Gesamtwürdigung der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass sich der Unfall im engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren des beklagten Fahrers von einer Parkbucht auf die Fahrbahn ereignete. Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des zuvor parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr spreche daher der Beweis des Anscheins dafür, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Darauf deute zudem hin, dass seine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei.
Hinweis: Der Anscheinsbeweis setzt Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Gemäß § 10 Satz 1 Straßenverkehrs-Ordnung muss sich der Einfahrende vom Fahrbahnrand auf eine Fahrbahn so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Quelle: AG Hanau, Urt. v. 05.06.2023 - 39 C 329/21 (19)
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Das Oberlandesgericht (OLG) Celle wagt mit seiner folgenden Entscheidung ein womöglich richtungsweisendes Urteil, das Erleichterung in ähnlich geartete Fälle bringen könnte. Und die gibt es nicht selten. Denn schließlich haben selbst berührungslose Stürze nach Notbremsungen oftmals böse Folgen.
Ein Mann fuhr auf seinem Motorrad eine Straße entlang, und wie so oft auf Straßen üblich, fuhr vor ihm ein Pkw. Auf der Gegenfahrbahn stand indes in einer Kurve ein Müllfahrzeug, das wiederum die entgegenkommende Frau - die spätere Beklagte - mit ihrem Pkw passieren wollte. Dafür fuhr sie dann auch auf die Gegenfahrbahn. Um eine Kollision mit dem Fahrzeug der Frau zu vermeiden, bremste der vor dem Motorradfahrer fahrende Pkw stark ab, so dass der Biker eine Vollbremsung vollzog. Dabei geriet er ins Rutschen, stürzte und verletzte sich, ohne in diesem Verlauf jedoch auf das vorausfahrende Kfz aufzufahren. Erstinstanzlich wurde die Klage des Gestürzten auf Schadensersatz mit der Begründung abgewiesen, er sei allein schuld an seinem Sturz gewesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte jedoch Erfolg - zumindest teilweise.
Wo bislang aber galt, dass nach berührungslosen Unfällen kein Verursachungsbeitrag nach Anscheinsbeweisgrundsätzen festgestellt werden darf, sieht es das OLG Celle hier anders und entschied, dass der Kläger 40 % seines Schadens ersetzt verlangen kann. Die Beklagte hafte mit, weil sie ohne vorsichtige Prüfung an der durch den haltenden Müllwagen geschaffenen Engstelle vorbeigefahren war. Es habe dabei nicht ausgereicht, langsam den Müllwagen zu überholen. Die Frau habe vielmehr den Gegenverkehr überprüfen müssen, bevor sie zum Überholen ansetzte. Jedoch spricht der Anscheinsbewies auch für einen Verkehrsverstoß des Klägers, auch wenn es nicht zu einer Kollision zwischen Motorrad und vorausfahrendem Fahrzeug kam. Gelingt es einem Verkehrsteilnehmer nicht rechtzeitig, auf die wahrgenommene Gefahrenlage zu reagieren und nur durch einen vorherigen Sturz eine Kollision mit dem Vorausfahrenden zu verhindern, spricht wie im Fall einer Auffahrkollision die Lebenserfahrung dafür, dass die Ursache für den Sturz das eigene Fehlverhalten ist - infolge zu geringen Abstands oder Unaufmerksamkeit. Eine überwiegende Haftung der Beklagten kam nach Ansicht des OLG Celle daher nicht in Betracht. Denn der Kläger trage einen deutlich höheren Verantwortungsanteil als die Beklagte. Erst sein sorgfaltswidriges Verhalten habe zum Sturz geführt. Dabei sei zu beachten, dass der Vorausfahrende auch rechtzeitig habe bremsen können, ohne dass es zu einer Kollision mit dem ihm vorausfahrenden und zuerst bremsenden Pkw kam.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) wurde zugelassen, weil sich das Gericht hier gegen die Meinungen zweier OLGs (OLG München, NJOZ 2018, 661; OLG Hamm, DAR 2023, 622) stellt, die die Auffassung vertreten, dass bei berührungslosen Unfällen ein Verursachungsbeitrag nach Anscheinsbeweisgrundsätzen nicht festgestellt werden darf. Sollte der BGH die Anwendbarkeit der Grundsätze des Anscheinsbeweises bejahen, würde dies die Beweisführung künftig erleichtern.
Quelle: OLG Celle, Urt. v. 13.12.2023 - 14 U 32/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Dass die Unfallverursacherin im folgenden Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) überversichert war, indem sie sowohl ihren Pkw als auch ihren daran angebrachten Anhänger einzeln versicherte, kann hier außer Acht gelassen werden. Die interessante Frage, die aus diesem Umstand hervorging, war, ob beide Versicherer den Schaden im sogenannten Innenverhältnis hälftig teilen mussten oder gar einer von ihnen komplett zu haften habe.
Eine Autofahrerin war mit ihrem Auto samt Anhänger unterwegs, Zugfahrzeug und Anhänger waren bei unterschiedlichen Versicherungen versichert. Beim Rückwärtsfahren verursachte die Fahrerin schließlich einen Schaden in Höhe von knapp 1.000 EUR. Die Haftpflichtversicherung des Pkw ersetzte den Schaden am Fahrzeug des Dritten und forderte daraufhin die Hälfte des regulierten Schadens von der Anhängerversicherung zurück. Sie war der Ansicht, dass beide Versicherungen als Gesamtschuldner haften und somit im Innenverhältnis zwischen den Versicherern die Anhängerversicherung die Hälfte mittragen müssen. Das sah die betreffende Versicherung anders. Durch das Rückwärtsfahren sei die Gefahr durch den Anhänger nicht erhöht gewesen, daher scheide ein Anspruch aus.
Der BGH gab der Anhängerversicherung Recht und wies zunächst darauf hin, dass eine Mehrfachversicherung des Gespanns vorliege. Beide Versicherer haften dem geschädigten Dritten gegenüber als Gesamtschuldner und hafteten deshalb im Außenverhältnis zunächst vollständig. Im sogenannten Innenverhältnis haftet nach den gesetzlichen Vorschriften aber nur der Versicherer der Zugmaschinen, also die Kfz-Versicherung. Eine Ausnahme bestehe dann, wenn sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht als durch das Zugfahrzeug - beispielsweise wenn der Anhänger wegen seiner besonderen Länge oder Größe die Gefahr erhöhe. Das Ziehen des Anhängers allein verwirklicht jedoch in der Regel keine höhere Gefahr, wobei der BGH klarstellt, dass auch das Rückwärtsfahren mit einem Anhänger ein "Ziehen" darstelle. Nicht relevant hingegen ist, ob der Anhänger gezogen oder geschoben werde (z.B. während eines Rangiervorgangs).
Hinweis: Verursacht ein mit einem Zugfahrzeug verbundener Anhänger einen Schaden, haften der Halter des Zugfahrzeugs und der Halter des Anhängers als Gesamtschuldner. Im Außenverhältnis kann sich der Geschädigte seinen Anspruchsgegner aussuchen, also entweder die Versicherung des Zugfahrzeugs oder die Versicherung des Anhängers in Anspruch nehmen. Dies gilt auch dann, wenn die Halter von Zugfahrzeug und Anhänger wie hier nicht identisch sind. Die Entscheidung des BGH betrifft das Innenverhältnis zwischen Anhänger- und Zugfahrzeugversicherung. Hierfür hat der BGH klargestellt, dass auch beim Rückwärtsfahren grundsätzlich die Versicherung des Zugfahrzeugs allein haftet.
Quelle. BGH, Urt. v. 14.11.2023 - VI ZR 98/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Zwei Autos stehen hintereinander, beide zur selben Fahrtrichtung ausgerichtet. Dann ist das eine hinten, das andere vorn beschädigt. Was hier eindeutig war: Eine Kollision der beiden Pkw hatte stattgefunden. Alles andere jedoch musste das Amtsgericht Essen (AG) klären - oder es zumindest versuchen.
Beide beteiligten Parteien verlangten vor dem AG Schadensersatz. Der eine Beteiligte meinte, es habe sich um einen Auffahrunfall gehandelt, da hafte der Auffahrende somit auch dem Anscheinsbeweis zufolge. Der andere Beteiligte forderte ebenfalls Schadensersatz, er sei gar nicht aufgefahren! Vielmehr habe der andere zurückgesetzt und sei ihm deshalb in die Fahrzeugfront gefahren. Sachverständige zuckten hier leider auch nur mit den Schultern, da die Schäden keine weitere Klarheit bringen konnten, welche der beiden Parteien nun die Wahrheit sagte. Was den Laien womöglich schmunzeln lässt, ist vor Gericht jedoch bei Weitem keine Seltenheit - und daher griff das AG zur naheliegenden Maßnahme.
Das AG entschied, dass der Schaden zu teilen sei. In diesem Fall sei der Anscheinsbeweis nicht anzuwenden. Weder ein unachtsames Rückwärtsfahren noch ein unachtsames Auffahren sei nachgewiesen oder ausgeschlossen, da selbst der Sachverständige dazu keine eindeutigen Angaben habe machen können. Daher sei der Unfallhergang nicht aufklärbar - eine Schadensteilung sei angemessen.
Hinweis: Kann ein Unfallhergang weder durch Zeugen noch durch ein Unfallrekonstruktionsgutachten aufgeklärt werden, ist regelmäßig eine hälftige Schadensverteilung vorzunehmen.
Quelle: AG Essen, Urt. v. 21.07.2023 - 29 C 152/22
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Wer kennt die liebevolle, mütterliche Abschiedsfloskel nicht, bloß schön vorsichtig zu fahren und gut auf sich aufzupassen? Hätte der Radler im folgenden Fall diesen Ratschlag doch nur berücksichtigt! Dann wäre er nicht gestürzt und zudem nicht auch noch vor dem Landgericht Frankenthal (LG) mit seiner Schadensersatzklage gescheitert.
Der Mann war mit seinem Rennrad auf einem Radweg unterwegs gewesen und aufgrund von dortigen Wurzelschäden gestürzt. Schließlich kam es, wie so oft an dieser Stelle; der Mann wandte sich mit einer Klage gegen die Gemeinde und verlangte von dieser Schadensersatz. Schließlich sei es ihre Aufgabe gewesen, im Rahmen der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht derlei Unfälle weitestgehend zu verhindern. Dieser Argumentation wollte das Gericht aber so nicht ganz folgen.
Das LG hat die Klage des Rennradfahrers abgewiesen. Grundsätzlich muss zwar vor Gefahrenquellen gewarnt werden - dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit. Ein Rennradfahrer muss nach Auffassung des Gerichts von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten besonders gefährdet ist. Vorliegend waren die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar. Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, so dass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein können. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung - beispielsweise durch ein Hinweisschild - nicht erforderlich gewesen.
Hinweis: Grundsätzlich hat derjenige, der eine Gefahrenquelle (wie beispielsweise eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht zu verhindern. Somit hat derjenige die Gefahren auszuräumen oder vor ihnen zu warnen, sobald sie trotz gehöriger Aufmerksamkeit nicht erkennbar sind.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 31.08.2023 - 3 O 71/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
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