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Zum Thema Verkehrsrecht
- Anscheinsbeweis bei Kettenunfall: Wer dem Vordermann auffährt, muss Unvorhersehbarkeit dieses Umstands beweisen können
- Keine Aufsichtspflichtsverletzung: Gesteigerte Sorgfaltspflichten von Autofahrern gegenüber Kindern sind bindend
- Prinzip des Bereicherungsverbots: Abrechnung auf Neuwagenbasis setzt Erwerb eines gleichwertigen Neufahrzeugs voraus
- Sonst nur Pauschalbetrag: Geschädigter muss Details zum erlittenen Haushaltsführungsschaden nachweisen können
- Vertrauenstatbestand: Wer beim Einstieg auf Fahrbahnseite zunächst erkennbar innehält, kann im Schadensfall haften
Im folgenden Fall musste das Amtsgericht Kiel (AG) eine Kettenreaktion auflösen, und zwar nach einem Auffahrunfall. Wer bei drei hintereinanderfahrenden Autos letztendlich was beweisen muss - lesen Sie hier.
Innerorts standen drei Fahrzeuge hintereinander vor einer auf Rot geschalteten Ampel. Nachdem die Ampel auf das ersehnte Grünlicht umgesprungen war, fuhren alle drei an und erreichten eine Geschwindigkeit zwischen 50 und 60 Stundenkilometern. Als das mittlere Fahrzeug plötzlich abbremste, fuhr ihm dessen Hintermann auf. Dieser behauptete, das vorausfahrende erste Fahrzeug habe grundlos abgebremst und das mittlere Fahrzeug sei auf das erste Fahrzeug aufgefahren, so dass er keine Möglichkeit mehr hatte, selbst seinen Auffahrunfall zu verhindern.
Das AG hat die Klage des Fahrers des dritten Fahrzeugs abgewiesen. Durch die Beweisaufnahme konnte nicht bewiesen werden, dass das mittlere Fahrzeug auf das erste Fahrzeug aufgefahren sei. Schließlich habe dessen Fahrer sogar ausgesagt, noch rechtzeitig hinter dem ersten Fahrzeug zum Stehen gekommen zu sein. Auch der vom Gericht eingeschaltete Sachverständige bestätigte, dass aus technischer Sicht alles dafür spreche, dass der Fahrer des dritten Fahrzeugs auf das mittlere Fahrzeug aufgefahren sei. Das AG hat die Klage daher abgewiesen - mit der Begründung, dass gegen den Auffahrenden der Anscheinsbeweis für sein alleiniges Verschulden spricht, wenn er nicht nachweisen kann, dass das mittlere Fahrzeug auf das erste Fahrzeug aufgefahren ist.
Hinweis: Die Entscheidung des Gerichts steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung. Das bloße Abbremsen des Vordermanns - auch das plötzliche Abbremsen - genüge grundsätzlich nicht, einen Anscheinsbeweis zu erschüttern, weil jeder Verkehrsteilnehmer hiermit stets rechnen müsse. Der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis kann zwar dann erschüttert werden, sobald der Vorausfahrende unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhaltewegs "ruckartig" - etwa infolge einer Kollision - zum Stehen gekommen und der Nachfolgende deshalb aufgefahren ist. Hieran fehlte es im vorliegenden Fall allerdings.
Quelle: AG Kiel, Urt. v. 19.11.2020 - 118 C 76/19
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(aus: Ausgabe 01/2021)
Bei Kindern ist im Straßenverkehr doppelte Vorsicht geboten. Dass man sich im Schadensfall nämlich nicht einfach auf die Aufsichtspflicht der Eltern berufen kann, zeigt das folgende Urteil des Landgerichts Osnabrück (LG) in einem Fall, in dem ein Achtjähriger nahe eines Zebrastreifens den Wagen einer Frau beschädigte.
Die Klägerin befuhr mit ihrem Auto innerorts eine Hauptverkehrsstraße. In entgegengesetzter Fahrtrichtung kam ihr der achtjährige Sohn der späteren Beklagten auf dem Fahrrad entgegen. Er war alleine auf dem Gehweg unterwegs. In unmittelbarer Nähe eines Zebrastreifens fuhr das Kind auf die Straße, um sie zu überqueren. Dabei stieß es mit dem Fahrzeug der Klägerin zusammen. An dem Auto entstand Sachschaden. Diesen verlangte die Klägerin von der Mutter des Kindes ersetzt. Sie ist der Ansicht, die Mutter habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, indem sie ihren Sohn an der Hauptverkehrsstraße habe alleine mit dem Fahrrad fahren lassen.
Die Klage hatte weder in der ersten noch in der zweiten Instanz Erfolg. Das zuerst mit der Sache vertraute Amtsgericht argumentierte, die Klägerin habe sich nicht so verhalten, dass eine Gefährdung des Kindes ausgeschlossen gewesen wäre. Der Unfall habe sich in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit einem Zebrastreifen ereignet, der Achtjährige sei im Begriff gewesen, die Straße im Bereich des Zebrastreifens zu überqueren. Dass er hierzu schon zweieinhalb bis drei Meter vor dem Zebrastreifen ansetzte, sei hierbei unerheblich. Gerade bei Kindern sei es nicht unüblich, dass sie in einem Bogen (und nicht in einem 90-Grad-Winkel) auf den Zebrastreifen auffahren. Das LG hat diese Ansicht bestätigt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil die Mutter des Kindes ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hatte.
Hinweis: Ein achtjähriges Kind, das sein Fahrrad im Allgemeinen hinreichend sicher beherrscht, über Verkehrsregeln eindringlich von den Eltern unterrichtet wurde und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, darf nach der Rechtsprechung auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen - beispielsweise, um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten, geläufigen Weg zurückzulegen. Eine Aufsichtspflichtverletzung liegt im Ernstfall dann nicht vor.
Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 08.10.2020 - 6 S 150/20
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(aus: Ausgabe 01/2021)
Es ist natürlich ärgerlich, wenn ein neues Fahrzeug nach nur wenigen Kilometern verunfallt. Wann aber nach einem solchen Debakel auf Neuwagenbasis mit der Versicherung abgerechnet werden darf, klärte der Bundesgerichtshof (BGH) erneut anhand des folgenden Falls deutlich.
Bei einem Verkehrsunfall wurde ein neuwertiger Pkw, der zum Unfallzeitpunkt erst drei Wochen alt war und eine Laufleistung von lediglich 571 Kilometern aufwies, erheblich beschädigt. Der Geschädigte verlangte daraufhin von der gegnerischen Haftpflichtversicherung die Abrechnung auf Neuwagenbasis und erhielt vor dem BGH schließlich seine endgültige Abfuhr - eigentlich wenig überraschend.
Denn der BGH bestätigte in seinem Urteil seine bisherige Rechtsauffassung: Nur im Ausnahmefall ist eine Abrechnung auf Neuwagenbasis möglich. Denn diese Abrechnungsart setze zum einen voraus, dass das Fahrzeug neuwertig ist (Orientierungsgrenze 1.000 km), und zum anderen, dass die Beschädigung erheblich war. Diese Voraussetzungen lagen im Fall zwar vor, jedoch konnte der Geschädigte nicht den Kauf eines Neufahrzeugs nachweisen. Da kein gleichwertiges Neufahrzeug angeschafft wurde, sind nach Auffassung des BGH die Voraussetzungen einer Abrechnung auf Neuwert- oder Neuwagenbasis nicht möglich. Der Kläger hatte somit nur Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten und der Wertminderung.
Hinweis: Nach ständiger Rechtsprechung ist eine fiktive Abrechnung auf Neuwertbasis unzulässig. Wäre eine fiktive Abrechnung für einen Neuwertersatz zugelassen, würde der Geschädigte gegen das Bereicherungsverbot verstoßen.
Quelle: BGH, Urt. v. 26.09.2020 - VI ZR 271/19
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(aus: Ausgabe 01/2021)
Der erlittene Schaden nach einem Unfall kann auch auf die eigene Haushaltsführung Einfluss nehmen. Dass dabei aber auch exakt dargelegt werden muss, welche Tätigkeiten genau nicht mehr durch eigene Leistung durchgeführt werden können, wenn man nicht mit einem Pauschalbetrag abgespeist werden möchte, zeigt das folgende Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (OLG).
Die Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall verletzt und machte gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung auch einen Haushaltsführungsschaden geltend, ohne dabei konkret darzulegen, welcher Schaden ihr hierbei genau entstand. Stattdessen verwies die Frau nur allgemein auf eine bestimmte prozentuale Minderung der Erwerbsfähigkeit und der Fähigkeit zur Haushaltsführung. Die gegnerische Versicherung zahlte ihr daher nur einen Pauschalbetrag, mit dem sich die Geschädigte nicht zufrieden gab und klagte.
Das OLG entschied jedoch, dass ein über den zuerkannten Betrag hinausgehender Anspruch auf Ersatz des behaupteten Haushaltsführungsschadens nicht besteht. Die Geschädigte habe nicht substantiiert dargelegt, welcher Schaden ihr durch die erlittenen Verletzungen in Bezug auf den Haushaltsführungsschaden entstanden sei. Eine pauschale Bezugnahme auf Tabellenwerke zur Darlegung des unfallbedingt entstandenen Haushaltsführungsschadens erfülle dabei nicht die Anforderungen an die Darlegung eines konkreten Schadens.
Hinweis: Zur Darlegung eines Haushaltsführungsschadens muss der Geschädigte im Einzelnen nachweisen, welche Tätigkeiten, die vor dem Unfall im Haushalt verrichtet wurden, unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr vollständig ausgeübt werden können. Ein bloßer allgemeiner Verweis auf eine bestimmte prozentuale Minderung der Erwerbsfähigkeit oder der Fähigkeit zur Haushaltsführung genügt nicht.
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 11.09.2020 - 9 U 96/20
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(aus: Ausgabe 01/2021)
Tür auf, Tür ab! - dieses Phänomen kommt im Straßenverkehr öfters vor. Wer in einer solchen Situation die Haftung übernimmt, ist zumeist eine Frage der Details. Im folgenden Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) ging es um einen Fahrgast, der auf der Fahrbahnseite eine Taxitür öffnete - und zwar erst nach ersichtlichem Zögern. Ob genau dieser Umstand für die Haftungsfrage entscheidend war, lesen Sie hier.
Eine Autofahrerin stand mit ihrem Wagen als zweites Fahrzeug auf der rechten Spur vor einer roten Ampel. Rechts vor ihr stand ein Taxi an einem Taxistand. Dorthin ging ein Paar, wobei die Frau hinten rechts einstieg, der Mann hinter dem Taxi herum ging, dessen Tür einen Spalt öffnete, beim Umschalten der Ampel auf Grün und Anrollen des Verkehrs innehielt und dann vor der Tür stehen blieb. Es kam dann dennoch zu einer Kollision zwischen dem Pkw und der Taxitür, weil diese während der Vorbeifahrt geöffnet war oder wurde. Der Halter des Taxis verlangte nun Schadensersatz.
Das OLG wies die Klage jedoch - ebenso wie die Vorinstanz - ab. Es lag seiner Ansicht nach ein Verschulden des Fahrgasts vor. Dabei zu berücksichtigen war, dass die Pkw-Fahrerin zuerst anfuhr, während der Fahrgast neben dem Taxi in einem Abstand von 80 cm zwischen den Fahrzeuglängsseiten auf dem rechten Fahrstreifen stand. Die Autofahrerin durfte also zu Recht darauf vertrauen, der Fahrgast werde in der eingenommenen Position verharren und die Tür nicht weiter öffnen. Sie war sich nämlich bei ihrer Anhörung vor dem Senat sicher, dass der Fahrgast, nachdem er um das Heck des Taxis herumgegangen war, die linke Hand am Türgriff hatte, ganz nah mit dem Körper am Auto stand und innehielt. Dabei habe sie sich noch gedacht, dass er doch längst hätte einsteigen können. Genau dieser geäußerte Gedanke war für den Senat entscheidend. Denn unter diesen besonderen Umständen bestand in dem längeren Warten ein Vertrauenstatbestand, der Fahrgast werde nun den Vorrang des fließenden Verkehrs beachten.
Hinweis: Der erforderliche seitliche Sicherheitsabstand zwischen fließendem und haltenden Verkehr richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und kann den sonst beim Überholen oder der Vorbeifahrt erforderlichen Seitenabstand von einem Meter durchaus unterschreiten. Dabei kommt es - wie so oft - auf die konkrete Verkehrssituation an.
Quelle: OLG München, Urt. v. 07.10.2020 - 10 U 1455/20
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2021)
Sollten Sie Fragen zu den angeführten Entscheidungen der Gerichte haben, die in Bezug zu Ihrem persönlichen Anliegen stehen, treten Sie gern mit uns in Verbindung.