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Zum Thema Verkehrsrecht
- "Speed" auf Cannabis: Wer berauscht E-Scooter fährt, riskiert seine Fahrerlaubnis
- Abgasskandal: Motorhersteller haften nur bei Vorsatz
- Alternative Demonstrationsroute: Behinderung und Gefährdung des Verkehrs sprechen gegen Versammlung auf Autobahn
- Verfolgung vereitelt: Irrtümliche Angaben zum Fahrer berechtigen zur Fahrtenbuchauflage
- Warnblinkerpflicht am Stauende? Verpflichtung nur bei Gefährdungslage - nicht bei Behinderung des nachfolgenden Verkehrs
Wer schon mal auf diesen nervigen Dingern gestanden und damit "Speed" gegeben hat, muss zugeben: E-Scooter können nicht nur doof rumliegen oder -stehen, sondern durchaus Spaß machen. Doch in Verbindung mit dem öffentlichen Straßenverkehr ist Spaß immer arg nüchtern zu betrachten - vor allem, wenn man motorisiert unterwegs ist. Daher sei allen, denen zumindest ihre Fahrerlaubnis wichtig ist, geraten: "Don’t smoke and drive" - und zwar auch nicht auf erlaubnisfreien Fahrzeugen, wie im Folgenden das Verwaltungsgericht Berlin (VG) in seinem Urteil beweist.
Ein Mann war mit einem E-Scooter im Straßenverkehr unterwegs. Da er jedoch in Schlangenlinien fuhr und dabei mehrfach nah an geparkte Autos geriet, hielt ihn die Polizei an und nahm eine Blutprobe von ihm. Diese wies einen THC-Wert von 4,4 ng/ml auf. Gegenüber den Polizisten äußerte der E-Scooter-Fahrer, jeden Tag Cannabis zu konsumieren und jeden Tag Auto zu fahren - diese Äußerung stellte er im Nachhinein jedoch als nicht ernst gemeint dar. Die Fahrerlaubnisbehörde forderte den Mann dennoch auf, ein Medizinisch-Psychologisches Gutachten (MPU) zu seiner Fahreignung einzureichen. Dieser reagierte nicht, woraufhin ihm mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Dagegen wehrte er sich mit einem Antrag.
Das VG hat den Eilantrag des Antragstellers jedoch abgelehnt. Die Fahrerlaubnisbehörde muss demjenigen die Fahrerlaubnis entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kfz erweist. Dies war beim Antragsteller anzunehmen, weil er das zu Recht geforderte Gutachten nicht eingereicht hatte. Einer solchen MPU bedurfte es, um zu klären, ob der gelegentlich Cannabis konsumierende Antragsteller nur einmalig seinen Cannabiskonsum vom Führen eines Kfz nicht habe trennen können - oder dies auch in Zukunft nicht tun werde.
Hinweis: Die Vermeidung schwerer Personen- und Sachschäden, die aus Verkehrsunfällen nach Drogeneinnahme resultieren, rechtfertigt den sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis. Auch beim (erlaubnisfreien) Fahren mit einem Elektrokleinstfahrzeug wie einem E-Scooter ist das Trennungsgebot zu beachten. Hier war neben dem deutlich überschrittenen THC-Wert erschwerend zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bei der Kontrolle durch seine Fahrweise den Straßenverkehr gefährdet und einen regelmäßigen Verstoß gegen das Trennungsgebot auch beim Autofahren eingeräumt hatte.
Quelle: VG Berlin, Beschl. v. 17.06.2023 - VG 11 L 184/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2023)
Wer wie und ob er überhaupt im sogenannten Abgasskandal haftbar zu machen war und ist, scheint immer noch nicht komplett ausverhandelt zu sein. Das zeigt auch dieser Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging. Es ging es um die Frage, ob Hersteller von Motoren auch haftbar gemacht werden können, wenn es sich dabei nicht gleichzeitig auch um den Fahrzeughersteller handelt.
Der Kläger nahm die Beklagte - die zwar Motorherstellerin, aber nicht Fahrzeugherstellerin ist - wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kfz auf Schadensersatz in Anspruch. Er hatte 2019 von einem Händler ein gebrauchtes Kfz gekauft, das mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor der Baureihe EA 897 (Euro 6) ausgerüstet war. Das Fahrzeug war bereits zuvor von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) angeordneten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Ein von der Beklagten zur Beseitigung der vom KBA beanstandeten Abschalteinrichtung erstelltes Softwareupdate hatte das KBA freigegeben.
Der BGH hat die Klage zurückgewiesen. Zunächst war davon auszugehen, dass der Beklagten selbst keine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers zur Last fällt. Die Beklagte habe auch keine vorsätzliche Beihilfe dazu geleistet, dass der Fahrzeughersteller das Fahrzeug vorsätzlich mit einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung - bezogen auf ein in das Fahrzeug verbautes Thermofenster - in den Verkehr gebracht hat. Zwar steht, wie der BGH entschieden hat, dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kfz unter bestimmten Voraussetzungen gegen den Fahrzeughersteller ein Schadensersatzanspruch zu. Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, trifft indessen nur den Fahrzeughersteller, nicht aber den Motorhersteller.
Hinweis: Der Motorhersteller kann, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch das Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihn nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht trifft.
Quelle: BGH, Urt. v. 10.07.2023 - VIa ZR 1119/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Unser Grundgesetz garantiert das Recht, sich sowohl in geschlossenen Räumen als auch unter freiem Himmel zu versammeln. Eine solche Versammlung unter freiem Himmel - allgemeinhin als Demonstration bezeichnet - muss entgegen aller Unkenrufe zwar nicht genehmigt, aber in aller Regel gemäß Versammlungsgesetz angemeldet werden. Warum? Damit die Ordnungsbehörden einen sicheren und ungestörten Verlauf der Demonstration garantieren können. Und wenn ein solcher Verlauf nicht mehr gesichert werden kann, muss ein Gericht, wie im folgenden Fall das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG), das letzte Wort sprechen.
Im Frühjahr 2023 wollte der Organisator einer Fahrraddemonstration einen Teilabschnitt einer Autobahn nutzen und dabei mit Lautsprechern, Musikboxen, Transparenten, Fahnen und Spruchbändern für sein Anliegen werben. Die zuständige Behörde lehnte die Route über die Autobahn jedoch ab und verwies stattdessen auf eine paralle Route über Landstraßen. Die Behörde gab an, dass der Verkehr auf der Autobahn im Fall einer Sperrung intensiv beeinträchtigt sei und die Autobahn dafür für mindestens fünf bis sieben Stunden gesperrt werden müsse. Den erheblichen Beeinträchtigungen könne nicht durch Umleitungsstrecken begegnet werden. Die Gefahr von Unfällen würde sich erhöhen. Zudem müsse die Autobahn in beiden Fahrtrichtungen gesperrt werden.
Der Eilantrag des Organisators auf Genehmigung wurde zuerst vom Verwaltungsgericht Braunschweig zurückgewiesen - und auch das OVG bestätigte diese Entscheidung. Die spezifische Widmung der Autobahnen für den überörtlichen Kraftfahrzeugverkehr schließt deren Nutzung für Versammlungszwecke zwar nicht generell aus - allerdings kommt eine Nutzung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. Die Wahl der Autobahn als Versammlungsort muss für eine effektive Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit unabdinglich sein. Angesichts der von der Behörde zutreffend ermittelten erheblichen Behinderungen und Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer lag ein solcher Ausnahmefall nicht vor.
Hinweis: Zu berücksichtigen war auch, dass die Behörde eine Alternativroute vorgeschlagen hatte, wodurch ein angemessener Ausgleich zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sowie den betroffenen öffentlichen Belangen hergestellt wurde. Auf dieser parallel zur Autobahn verlaufenden und diese mehrfach kreuzenden Strecke konnte das von der Versammlung verfolgte Anliegen in ausreichend öffentlichkeitswirksamer Weise verwirklicht werden.
Quelle: OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.04.2023 - 10 ME 52/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2023)
Immer wieder versuchen Fahrzeughalter nach Verkehrsverstößen, die Ermittlung des verursachenden Fahrers zu vereiteln. Ein bei den Behörden beliebtes Instrument, ahnungsloses Schulterzucken auf Halterseite künftig zu vermeiden, ist die Auflage zum Führen eines Fahrtenbuchs. Und weil dieses Instrument bei den Fahrzeughaltern auf wenig Gegenliebe stößt, müssen Gerichte wie das Oberverwaltungsgericht Saarlouis (OVG) immer wieder bewerten, ob es behördenseitig (aus-)gespielt werden darf oder eben nicht.
Ein Autofahrer überschritt mit einem Firmenfahrzeug die zulässige Geschwindigkeit außerorts um 64 km/h. Ein Mitarbeiter der Halterin füllte daraufhin den zugesandten Anhörungsbogen aus und benannte sich selbst als Fahrer. Auch nach einem Fotoabgleich mit dem Einwohnermeldeamt wurde die Identität bestätigt. Auch als der Mitarbeiter angehört wurde, räumte dieser die Tat ein. Eine Woche später jedoch trug sein Anwalt vor, dass der Mitarbeiter doch nicht der Fahrer gewesen sei. Dennoch erging der Bußgeldbescheid, woraufhin Einspruch eingelegt wurde. Der Betroffene trug vor, gedacht zu haben, dass es sich um einen anderen Verstoß gehandelt habe. Schließlich sei er mit dem Fahrzeug ebenfalls geblitzt worden, so dass er fälschlicherweise gedacht habe, dass die Anhörung sich auf eben diese Tat beziehe. Erst beim genauen Hinsehen sei ihm aber aufgefallen, dass tatsächlich sein - ihm sehr ähnlich sehender - Freund am Steuer gesessen habe. Vor Gericht konnte die Identität nicht geklärt werden, so dass das Verfahren eingestellt wurde und eine Fahrtenbuchauflage erging. Dagegen legte die Halterin Widerspruch ein.
Das OVG entschied jedoch, dass die Fahrtenbuchauflage durchaus rechtmäßig ergangen sei. Die Halterin habe zwar zunächst mitgewirkt, indem sie den Bogen an ihren Mitarbeiter weitergab. Dieser habe aber durch falsche Angaben die Verfolgung vereitelt. Sollte die Halterin selbst den Bogen ausgefüllt haben, spreche alles dafür, dass das beigefügte Foto und die Tatsache, dass das Fahrzeug normalerweise von einer anderen Person gefahren wird, nicht geprüft wurden. Daher sei die Auflage angemessen. Die Halterin des Dienstfahrzeugs hätte diese Unsicherheit vermeiden können, wenn sie Fahrtenbücher geführt hätte.
Hinweis: Der Zweck einer Fahrtenbuchauflage ist es, Kraftfahrer zu erfassen, die Verkehrsverstöße begehen, damit sie nicht durch ihr weiteres verkehrswidriges Verhalten eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen. Die Anordnung richtet sich an den Fahrzeughalter, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitzt. Gefährdet er die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dadurch, dass er unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nichts dartun kann oder will, darf er durch das Führen eines Fahrtenbuchs zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden.
Quelle: OVG Saarlouis, Beschl. v. 07.06.2023 - 1 B 51/23
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Auffahrunfälle am Ende eines Staus gehören zu den traurigen, da oft tragisch endenden, Klassikern im Verkehrsrecht. Daher ist jeder Führer eines Kfz gut beraten, sich und andere durch Aufmerksamkeit und Warnung zu schützen, wenn er sich selbst einem Stau nähert - am naheliegendsten mithilfe von Warnblinkern. Wie es sich aber mit der Pflicht, die Warnblinkanlage zu aktivieren, verhält, wurde im Folgenden vom Landgericht Hagen (LG) thematisiert und geklärt.
Auf einer dreispurigen Autobahn staute sich der Verkehr auf der rechten Fahrbahn, auf der das Tempolimit von 100 km/h galt. Ein Lkw fuhr auf das Stauende zu und bremste von 62 auf 11 km/h ab, ohne dabei den Warnblinker einzuschalten. Ein hinter ihm fahrender Autofahrer erkannte die Situation nicht, fuhr mit 50 km/h auf den Lkw auf und wurde dabei schwer verletzt. Die Kranken- und Pflegeversicherung forderte von der Versicherung des Lkw Schadensersatz für geleistete Behandlungskosten - sie war der Ansicht, dass der Berufskraftfahrer die Pflicht gehabt hätte, die Warnblinkanlage einzuschalten. Da er genau das unterlassen habe, sei der Unfall von ihm verschuldet worden.
Das LG wies die Klage ab. Denn es gibt keine generelle Pflicht, an einem Stauende die Warnblinker anzustellen. Eine solche Verpflichtung bestehe nur, wenn eine besondere Gefahrenlage erkennbar sei. In diesem Fall war genau das aber nicht der Fall. Der Stau bildete sich nämlich nur auf der rechten Spur, was häufiger vorkommt, da langsame Lkws oder Auf- und Abfahrten den Verkehrsfluss beeinträchtigen können. Zudem war ein Tempolimit von 100 km/h angeordnet, und der Lkw-Fahrer habe die Geschwindigkeit moderat reduziert, als er den Stau wahrnahm. Wenn der Hintermann dennoch mit 50 km/h auffahre, sei davon auszugehen, dass er sich grob verkehrswidrig verhalten habe, indem er den vorausfahrenden Verkehr nicht ausreichend im Blick behielt. In einer solchen Situation sei es fraglich, ob das Einschalten der Warnblinker den Unfall überhaupt hätte verhindern können.
Hinweis: Eine Verpflichtung, den Warnblinker einzuschalten, besteht nur dann, wenn sich aufgrund des Staus eine Gefährdungslage für den nachfolgenden Verkehr ergibt. Hierfür kommt es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Gefährlichkeit der Situation und deren Erkennbarkeit für den nachfolgenden Verkehr an. Für die Annäherung an einen Stau auf der Autobahn gilt gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 Straßenverkehrs-Ordnung, dass der Warnblinker nur dann eingeschaltet werden darf, wenn eine Gefährdung anderer nicht auszuschließen ist. Eine Behinderung reicht nicht.
Quelle: LG Hagen, Urt. v. 31.05.2023 - 1 O 44/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2023)
Sollten Sie Fragen zu den angeführten Entscheidungen der Gerichte haben, die in Bezug zu Ihrem persönlichen Anliegen stehen, treten Sie gern mit uns in Verbindung.