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Zum Thema Verkehrsrecht
- Einschränkungen nach Sturz: Laut Gutachten nicht nachvollziehbare Folgen fließen nicht in Bemessungsgrundlage ein
- Keine Vorsätzlichkeit: Geschwindigkeitsverstoß durch Irrtum über Ende von Straßenschäden
- Mithaftung bei Unfällen: Erhöhte Betriebsgefahr bei Geschwindigkeiten oberhalb der Richtgeschwindigkeit
- Unzulässige Geschwindigkeitsmessung: Polizeiliches Nachfahren bei Dunkelheit mit ungeeichtem Tacho bleibt für Temposünder ohne Folgen
- Vorsorgliches Ausweichmanöver: Auch ohne Wildberührung besteht Leistungspflicht des Versicherers wegen Wildunfalls
Verursacht ein losgerissener Hund den Sturz eines Radfahrers, haftet der Halter des Hunds wegen der sogenannten Tiergefahr für die Schäden. Der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG), der sich mit den gesundheitlichen Folgen und deren finanzieller Bewertung eines durch einen Hund zu Fall gebrachten Mannes beschäftigte, mag so manche Leser irritieren. Aber lesen Sie selbst.
Der Kläger befuhr links neben seiner Lebensgefährtin einen Rad- und Fußweg mit dem Fahrrad, als eine von der Leine losgerissene Hündin seinen Weg kreuzte. Der Radfahrer stürzte und verletzte sich am rechten Arm und der rechten Hand. Das Landgericht Frankfurt am Main (LG) hatte nach Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens das - normalerweise - "obere Ende" der Hundeleine als Verantwortlichen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 7.000 EUR verurteilt. Doch dies war dem Kläger nicht genug - er verlangte mehr.
Die Berufung, mit der der Mann folglich diesen weitergehenden Schmerzensgeldanspruch geltend machte, hatte vor dem OLG jedoch keinen Erfolg. Das LG habe hier zu Recht auf Basis der sachverständig bestätigten Beeinträchtigungen - unter anderem eines Anpralltraumas des rechten Handgelenks und Ellenbogens, einer Radiusköpfchenfraktur sowie Rupturen am Handgelenk - das Schmerzensgeld mit 7.000 EUR bemessen. Die geltend gemachten nicht unerheblichen Bewegungsbeeinträchtigungen am rechten Ellbogen seien sachverständig nicht festgestellt worden. Soweit sich der Kläger auf Schmerzen bei alltäglichen Abläufen wie dem An- und Ausziehen verweise, sei dies auf Basis des Sachverständigengutachtens nicht nachvollziehbar.
Hinweis: In der täglichen Praxis gibt es immer wieder Streit über die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes. Maßgebend für dessen Höhe sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Das OLG hat die von der Vorinstanz angenommene Höhe des Schmerzensgeldes bestätigt - selbst vor dem Hintergrund, dass es dem Kläger nicht mehr möglich ist, Freizeitsportarten, wie Motorrad- und sportliches Fahrradfahren, auszuüben. Dass kein vorsätzliches Handeln des Beklagten vorgelegen habe, sei laut LG ebenfalls in die Bewertung eingeflossen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 20.12.2022 - 11 U 89/21
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2023)
Bei Strecken mit Geschwindigkeitsbeschränkungen verhält es sich auf Autobahnen subjektiv wie mit Baustellen: Sie erscheinen oftmals endlos. Was passiert, wenn man bezüglich des Endes einer mit Bodenwellen begründeten Geschwindigkeitsbeschränkung irrt und einem deshalb Vorsätzlichkeit vorgeworfen wird, sobald man geblitzt wurde? Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) wusste Antwort auf diese Frage.
Ein Autofahrer befuhr eine Autobahn. Aufgrund von Unebenheiten auf der Fahrbahn wurde die Geschwindigkeit durch ein entsprechendes Zusatzschild reduziert. Eine Meterangabe oder ein Aufhebungsschild gab es jedoch nicht. Zunächst hielt sich der Mann auch an die vorgegebene Geschwindigkeitsbegrenzung. Als er dann aber keinerlei Unebenheiten mehr erkennen konnte, gab er Gas - und wurde mit 136 km/h geblitzt. Es erging ein Bußgeldbescheid, in dem dem Betroffenen ein vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß vorgeworfen wurde - und durch die vermutete Vorsätzlichkeit verdoppelte sich das Bußgeld auf 240 EUR. Dagegen legte er Einspruch ein und gab an, durchaus nicht vorsätzlich gehandelt zu haben, da aus seiner Einschätzung die Gefahrenstelle vorüber war. Andere Fahrzeuge seien auch schneller gefahren, Bodenwellen nicht mehr zu sehen gewesen.
Das OLG gab dem Betroffenen Recht und halbierte das Bußgeld wieder auf 120 EUR für eine fahrlässige Begehungsweise. Der Autofahrer habe sich nicht über das Limit als solches geirrt, sondern nur über die fortgesetzte Gefahrenlage. Daher sei ein Vorsatz nicht zu unterstellen. Nur wenn zweifelsfrei feststeht, dass die Gefahr vorüber sei, gelte das Tempolimit auch ohne Aufhebungszeichen nicht mehr - dies sei hier aber nicht der Fall gewesen.
Hinweis: Tatsächlich hatte die Gefahr in dem Streckenabschnitt, in welchem der Betroffene geblitzt wurde, noch bestanden. Das Gericht ist daher nur von einer fahrlässigen Fehleinschätzung der Beschaffenheit der Örtlichkeit ausgegangen. Im Übrigen entfällt ein Streckenverbot, das zusammen mit einem Gefahrenzeichen angeordnet ist, auch ohne Aufhebungszeichen nur dann, wenn sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht.
Quelle: Brandenburgisches OLG , Beschl. v. 07.11.2022 - 2 OLG 53 Ss-OWi 388/22
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(aus: Ausgabe 03/2023)
Wer sein Fahrzeug auf Autobahnen deutlich über der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h steuert, muss im Schadensfall mit einer Teilschuld rechnen, da eine solche Ausgangsgeschwindigkeit als betriebsgefahrerhöhend berücksichtigt wird. Dies wird auch im Fall des Oberlandesgerichts Schleswig (OLG) deutlich.
Die Klägerin befuhr mit ihrem Auto eine Autobahn mit einer Geschwindigkeit zwischen etwa 120 bis 140 km/h, als sie auf der linken Fahrbahn nach einem Spurwechsel mit dem Fahrzeug des Beklagten kollidierte, der mit einer Geschwindigkeit von ca. 200 km/h fuhr. Die Frau behauptete, sie sei von der rechten auf die linke Fahrspur gewechselt, um Fahrzeuge auf der rechten Spur zu überholen. Trotz Blicken in Rück- und Seitenspiegel sowie über die Schulter habe sie das Beklagtenfahrzeug nicht gesehen - die Spur sei für sie frei gewesen. Demgegenüber gab der Beklagte an, die Klägerin sei unvermittelt vor seinem Fahrzeug auf die linke Spur gewechselt. Wegen des geringen Abstands habe er trotz einer Vollbremsung den Unfall nicht mehr vermeiden können.
Das OLG hat unter Abwägung der Verursachungsbeiträge eine Haftungsquote von 75 % zu 25 % zugunsten des Beklagten ausgeurteilt. Denn der Senat sah die überwiegende Ursache für den Unfall bei der Klägerin selbst, da sie den Fahrspurwechsel noch nicht vollständig abgeschlossen hatte, als es zum Unfall kam. Auf Beklagtenseite war dabei aber auch die Betriebsgefahr wegen der deutlichen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit zu berücksichtigen. Die Mithaftung am Unfall ist bei einer Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um ca. 70 km/h mit 25 % anzusetzen.
Hinweis: Eine deutlich über der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 km/h liegende Ausgangsgeschwindigkeit ist bei der Haftungsabwägung als betriebsgefahrerhöhend zu berücksichtigen. Durch sie vergrößert sich die Gefahr, dass sich andere Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht einstellen können und insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzen.
Quelle: OLG Schleswig, Urt. v. 15.11.2022 - 7 U 41/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2023)
Pi mal Daumen, dazu Tageszeit minus Temperatur, und fertig ist die Geschwindigkeitsmessung? Wer mitbekommen hat, dass selbst die Ergebnisse angeblich ausgefeilter Messgeräte bereits an gerichtliche Grenzen gestoßen sind (Stichwort " LEIVTEC XV3"), weiß: Nein. Und genau dieselbe Antwort musste das Amtsgericht Dortmund (AG) zwei Beamtinnen geben, die in unterstellt "guter Absicht" einem Temposünder im wahrsten Wortsinne auf der Spur waren.
Ein Autofahrer befuhr mit seinem Fahrzeug eine Autobahn, als er in eine Geschwindigkeitsmessung geriet. Einige Zeit später erhielt er einen Bußgeldbescheid mit dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung um 36 km/h. Er war dabei aber nicht von einem "Blitzer" gemessen worden, sondern durch Polizeibeamtinnen, die unter Verwendung eines nicht geeichten Tachos hinter ihm hergefahren waren. Der Betroffene legte deshalb Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und trug vor, dass ein Toleranzabzug in Höhe von 20 % bei einer Messung mit einem ungeeichten Tacho nicht ausreichend gewesen sei. Außerdem sei die Messung insgesamt unverwertbar, da zum Beispiel der gleichbleibende Abstand zum Fahrzeug nicht dokumentiert sei.
Bei all den Unklarheiten war das eine klare Angelegenheit - das AG sprach den Betroffenen frei. Das Gericht stellte fest, dass die Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung nicht nachvollzogen werden konnte. Es sei nicht erkennbar, wie einerseits eine zuverlässige Messstrecke von 1.000 m, andererseits der gleichbleibende Abstand des Fahrzeugs und außerdem noch eine durchgehende Tachometerbeobachtung durch beide Zeuginnen sichergestellt werden konnte, ohne dass die beiden Beamtinnen kommunizierten. Bei einer durchgehenden Tachometerbeobachtung sowohl durch die Beifahrerin als auch die Fahrerin wären eine ununterbrochene Beobachtung des Fahrzeugs des Betroffenen, eine durchgehende Kontrolle des gleichbleibenden Abstands des Polizeifahrzeugs und schließlich eine gleichzeitige Feststellung der Messstrecke nach menschlichem Ermessen nicht möglich. Zudem fand die Messung zur Nachtzeit statt.
Hinweis: Das Gericht wies zutreffend darauf hin, dass eine Sichtbarkeit der Konturen des gemessenen Fahrzeugs für die Polizeibeamtinnen überhaupt nicht plausibel erklärbar festgestellt werden konnte. Zur Nachtzeit und ohne Umgebungsbeleuchtung kann ohne weitere Beleuchtungsquellen, die die Fahrzeugkonturen eines Fahrzeugs aufhellen, anerkanntermaßen nicht davon ausgegangen werden, dass Fahrzeugkonturen eines gemessenen 100 m entfernten Fahrzeugs erkennbar sind. Die bloße Erkennbarkeit von Rücklichtern reicht nach der Rechtsprechung nicht aus, um zuverlässig eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit durchführen zu können.
Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 22.11.2022 - 729 OWi-265 Js 1807/22-117/22
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(aus: Ausgabe 03/2023)
Um eine Kollision mit Wildtieren zu vermeiden, kam es zu einem Ausweichmanöver und infolge dessen zum Sturz. Da dieser aber nicht auf einer Wildberührung beruhte und somit folglich auch kein Wildunfall war, wollte sich im folgenden Fall der Teilkaskoversicherer schulterzuckend aus der Affäre ziehen. Doch das Oberlandesgericht Saarbrücken (OLG) nahm sich der Sache an und klärte die notwendige Frage, ob das erfolgte Ausweichmanöver Schlimmeres habe verhindern können.
Ein Motorradfahrer war mit seinem Sohn als Sozius auf einer Landstraße unterwegs. Beim Einfahren in eine Rechtskurve entdeckte er direkt am rechten Fahrbahnrand eine Herde Rehe. Da er den Eindruck hatte, diese würden gleich die Straße queren und mit ihm kollidieren, wich er nach links aus. Dabei kam er von der Straße ab und stürzte. Er meldete den Schaden seiner Teilkaskoversicherung, doch diese verweigerte die Zahlung; schließlich läge kein versicherter Wildschaden vor - eine Wildberührung habe ja nicht stattgefunden.
Doch, sagte das OLG und gab dem Motorradfahrer Recht. Zwar sei es generell richtig, dass eine Leistungspflicht wegen Wildunfalls eine Wildberührung voraussetze. Im Ausnahmefall müsse aber auch gezahlt werden, wenn durch ein erfolgtes angemessenes Ausweichen ein höherer Schaden habe verhindert werden sollen. Wenn man als Motorradfahrer direkt am Fahrbahnrand eine Herde Rehe wahrnimmt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese sich in Bewegung setzt und auf die Straße läuft. Ein vorsorgliches Ausweichmanöver ist daher nicht unangemessen.
Hinweis: Gemäß § 83 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) hat der Versicherer Aufwendungen des Versicherungsnehmers nach § 82 Abs. 1 und 2 VVG, die dieser zur Schadensabwendung oder -minderung tätigt, auch wenn sie erfolglos geblieben sind, insoweit zu erstatten, als der Versicherungsnehmer sie den Umständen nach für geboten halten durfte. Ersatzfähig sind die Folgen von Fahrmanövern, die der Fahrer nach den Umständen - insbesondere zur Vermeidung des Versicherungsfalls "Zusammenstoß mit Tieren" - für erforderlich halten durfte. Hätte der Motorradfahrer eine Vollkaskoversicherung für sein Motorrad abgeschlossen gehabt, hätte die Versicherung in jedem Fall zahlen müssen. Probleme wie im vorliegenden Fall treten nur dann auf, wenn "nur" eine Teilkaskoversicherung besteht.
Quelle: OLG Saarbrücken, Urt. v. 23.11.2022 - 5 U 120/21
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2023)
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